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Motivation und Herausforderungen
Der klinische Bedarf
Die Charakterisierung des Langzeitverlaufs seltener genetisch bedingter neurologischer Entwicklungsstörungen stellt eine große wissenschaftliche und klinische Herausforderung dar. Da es in der Regel nur wenige Betroffene gibt, erfordern diese Studien mehrsprachige und altersübergreifende Patientenkohorten. Die Komplexität erhöht sich durch die Notwendigkeit, adaptive Funktionen wie Kognition, Sozialisation und Sprache zu bewerten, die für neurologische Entwicklungsstörungen von zentraler Bedeutung sind. Die große Heterogenität des Verhaltens und die Schwierigkeit, Personen mit Förderbedarf, wie z. B. mit geistiger Behinderung oder Sprachentwicklungsverzögerung, systematisch zu untersuchen, stellen eine große Herausforderung dar.
Die Etablierung experimenteller Behandlungen für neurologische Entwicklungsstörungen, die auf bestimmte Gene abzielen, und damit die Notwendigkeit, genspezifische Biomarker und klinische Endpunkte zu identifizieren, machen es dringend erforderlich, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Die Untersuchung des Langzeitverlaufs der ARID1B-assoziierten Erkrankung (ARID1B‑RD) ist hier als hervorragendes Beispiel zu nennen.
ARID1B-assoziiertes Krankheitsbild – ARID1B‑RD
ARID1B‑RD wird durch de novo Varianten im ARID1B-Gen auf Chromosom 6 verursacht. Das resultierende Krankheitsbild führt in der Regel zu einer geistigen Behinderung und häufig zu einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS), die sich als mäßige bis schwere Entwicklungsverzögerung in der frühen Kindheit manifestiert. Die Betroffenen weisen verschiedene klinische Merkmale auf, z. B. Gesichtsveränderungen, Hypoplasie des fünften Fingers und der Finger- und Zehennägel, Mikrozephalie und Hirsutismus. Viele leiden auch an Sprachentwicklungsverzögerungen, gastrointestinalen Problemen, muskulärer Hypotonie und motorischen Störungen. Krampfanfälle treten mit einer Häufigkeit von von 7% bis 30% auf. Das Coffin-Siris-Syndrom (CSS) stellt die schwere Ausprägung des ARID1B‑RD dar.
Kürzlich durchgeführte groß angelegte Exom-Sequenzierungsstudien haben ARID1B als das am häufigsten mutierte Gen bei neurologischen Entwicklungsstörungen identifiziert, wobei die Prävalenz pathogener ARID1B-Varianten auf ca. 1 auf 10.000 Personen geschätzt wird. Trotz der hohen Prävalenz ist das Verständnis über die Ausprägungen der klinischen Zeichen der ARID1B‑RD noch begrenzt.